Es gibt verschiedene Ansätze für Bitcoin-Bewertungsmodelle, aber keine allgemein anerkannte Bewertungsmethodik. Für den beworbenen Anwendungsfall Bitcoin als Store of Value sind zwei Bewertungsmodelle vielversprechend, die im Folgenden vorgestellt werden:
- Substitution: Umschichtung von anderen Anlageklassen mit ähnlichem Anwendungsfall zu Bitcoin
- Knappheit als wertstiftende Eigenschaft (Stock to flow)
Dieser Artikel geht bei Bewertungsmodellen ins Detail. Ein anderer Artikel betrachtet Bitcoin als Anlageklasse mit einzigartigen Charakteristiken für die Portfoliokonstruktion. Ein dritter Artikel handelt von einem Use Case für Bitcoin, der die Grundlage für hier vorgestellte Bewertungsmodelle ist: Bitcoin als digitales Gold.
Anlageklasse Bitcoin
Bitcoin ist die erfolgreichste Anlageklasse des letzten Jahrzehnts: extrem hohe Rendite und Volatilität, unkorreliert zu allen anderen Anlageklassen. Für die Portfoliokonstruktion sind Bitcoins Eigenschaften herausragend.
WeiterlesenBitcoin als Store of Value (digitales Gold)
Bitcoin hat alle Eigenschaften, um Gold als Anlageklasse für Wertaufbewahrung zu verdrängen: Bitcoin als digitales Gold. Dies gilt nicht für andere Kryptowährungen.
WeiterlesenSubstitution anderer Anlageklassen
Wenn man Bitcoin als neue Anlageklasse akzeptiert, so ist es naheliegend eine Preisprognose auf Basis von Substitution etablierter Anlageklassen zu ermitteln: das Angebot an Bitcoin (Bestand an Coins und Menge der hinzukommenden Coins) ist bekannt, über eine anteilige Umschichtung von anderen Anlageklassen zu Bitcoin modellieren wir nun die Nachfrage. Ausgangslage ist der Marktwert der wichtigsten Anlageklassen (Grayscale, 2019):

Man sieht wie klein Bitcoins Marktkapitalisierung noch ist. Gold ist wie beschrieben durch die zahlreichen Analogien eine naheliegende Anlageklasse, auf Kosten derer Bitcoin wachsen könnte. Angenommen von den 4.000 Milliarden USD, die momentan (Sep 2019) in Gold als Investment angelegt sind, werden 5% in Bitcoin investiert. Geteilt durch die Anzahl verfügbarer Coins (im Juni 2020 ca. 18,5 Millionen) ergibt sich ein Preis von ca. 10.000 USD. Bei 10% wären es ca. 20.000 USD, bei 25% entsprechend ca. 50.000 USD. Der hypothetische Bitcoin-Preis bei Annahme von 10% Marktwert der anderen Anlageklassen:

Von dieser Liste ist sicher auch Offshore Wealth, also Vermögen an Standorten mit hohem Maß an Vertraulichkeit, ein relevanter Anwendungsfall, da das Halten von Bitcoin Eigenschaften eines Offshore-Bankkontos hat (Privatheit, Schutz vor staatlichem Zugriff, Umgehung von Kapitalverkehrskontrollen). Als Hedge gegen die expansive Geldpolitik ist auch der Blick auf die Notenbankbilanzen aussagekräftig (schließlich ist Bitcoin explizit auch durch die geldpolitischen Maßnahmen als Reaktion auf die Finanzkrise entstanden), insbesondere wenn man bedenkt, dass sich Fed’s Balance Sheet seit Erstellung der obigen Grafiken Mitte 2019 auf über 7.000 Milliarden USD verdoppelt hat.
Die Werte obiger Grafiken sind keine Basis für eine Rechnung: Bitcoin wächst über den Anwendungsfall Store of Value zu einem Zehntel der Marktkapitalisierung von Gold und ersetzt 10% des Offshore Wealth Marktes: also ist ein Preis von 19.048 + 47.619 = 66.667 USD zu erwarten. Nein, so nicht. Dieses Bitcoin-Bewertungsmodell ist vielmehr eine Abschätzung, die die momentan geringe Marktkapitalisierung von Bitcoin verdeutlicht und ein Gefühl für mögliche Preissteigerungen gibt, wenn Bitcoin bestehende Anlageklassen auch nur zu dem kleinen Anteil von 10% ersetzt.
Knappheit: Stock-to-Flow
Ein anderes Bewertungsmodell für Bitcoin basiert auf dem Stock-to-Flow-Verhältnis (S2F), das die Knappheit von Bitcoin als bedeutendste Eigenschaft in den Mittelpunkt der Ableitung des Werts rückt. Dies passt zum vorgestellten Anwendungsfall der Wertaufbewahrung, für den Knappheit notwendige Voraussetzung ist. S2F wird insbesondere für Rohstoffe verwendet und bringt den Bestand (bereits gefördert) und die Produktionsmenge innerhalb eines Jahres ins Verhältnis.
Beispiel: von Gold jemals gefördert wurde eine Menge von knapp 200.000 Tonnen, jährlich kommen 3.000 Tonnen hinzu, was einem Stock-to-Flow-Verhältnis von gut 60 entspricht. Anders ausgedrückt: das jährliche Wachstum beträgt ca. 1,6% oder alle 60 Jahre verdoppelt sich die Menge des geförderten Golds. Dieser hohe Wert ist eine der Grundlagen für Gold als Wertspeicher, nicht die absolute Menge des chemischen Elements. Es existiert deutlich weniger Platin als Gold auf der Welt, aber Platin hat ein S2F von nur 0,4, abgeleitet also eine deutlich höhere Verwässerung des Werts (Inflation) des bereits geförderten Platin, und ist damit weniger für eine Wertaufbewahrung geeignet und akzeptiert.
Saifedean Ammous wandte im Buch The Bitcoin Standard das Stock-to-Flow-Verhältnis auf Bitcoin an. Das Bitcoin-Angebot ist deterministisch im Programmcode festgeschrieben, bis die Maximalmenge von 21 Millionen erreicht ist. Die Belohnung für die Bitcoin-Miner (block reward, d.h. die Anzahl an Bitcoins, die ein erfolgreicher Miner erhält; im Durchschnitt alle 10 Minuten ausgegeben) sinkt regelmäßig, alle 210.000 Blocks, entsprechend ca. vier Jahren. Mit diesen sogenannten Halvings sinkt die Inflationsrate und steigt das Stock-to-Flow-Verhältnis. Seit dem Halving im Mai 2020 beträgt die Belohnung 6,25 Bitcoin. Die Inflationsrate von ca. 1,8% sowie das S2F von ca. 60 liegt somit für die nächsten 4 Jahre ungefähr auf einem Level mit Gold. Mit dem nächsten Halving 2024 halbiert sich der Angebotszuwachs erneut, so dass Bitcoin dann mit einem S2F von über 100 deutlich knapper (auch als „härter“ bezeichnet) als Gold oder jedes andere Asset sein wird. Die Inflationsrate wird weiter sinken, bis Bitcoin eines Tages ein deflationäres Asset sein wird, bei dem der Verlust an Coins pro Jahr die Anzahl der neu produzierten Coins übersteigen wird.

Obige Grafik zeigt das Wachstum der Bitcoin-Anzahl bis zum Maximum von 21 Millionen sowie die dem Block reward entsprechende Inflationsrate über die Zeit (Quelle).
Viel Aufmerksam für das Stock-to-Flow-Verhältnis erregte im März 2019 ein Artikel des Pseudonyms Plan B, der den statistischen Zusammenhang zwischen Bitcoin-Preisentwicklung und S2F untersuchte und eine ungewöhnlich stark gleichläufige Entwicklung feststellte: je höher das S2F, desto größer die Marktkapitalisierung (und damit der Preis pro Bitcoin). Folgende Grafik visualisiert diesen Zusammenhang für verschiedene Zeitpunkte in der Geschichte von Bitcoin mit S2F auf der x- und Marktkapitalisierung auf der y-Achse (logarithmisch). Deutlich zusehen ist die Nähe aller historischen Bitcoin-Punkte zu einer eingezeichneten Trendlinie. Überraschenderweise liegt auch der Wertspeicher Gold auf dieser Linie (tatsächlich auch Silber, Diamanten und Immobilien), folgend der Argumentation, dass je höher der S2F, desto höher die Eignung als Wertspeicher.

Plan B’s Modell wurde in kurzer Zeit das beliebteste Bewertungsmodell für Bitcoin. Folgende Hypothese von Plan B wurde seitdem eifrig diskutiert: ist die Knappheit gemessen als S2F der dominierende Treiber für den Bitcoin-Preis? Gibt es eine Kausalität und nicht nur eine Scheinkorrelation dieser beiden Größen? Im Falle der Kausalität könnte durch die für die Zukunft festgeschriebene und damit bekannte Veränderung der Knappheit die Preisentwicklung prognostiziert werden. Einige Analysten meinten Kointegration zwischen S2F und Marktkapitalisierung gezeigt zu haben, d.h. ein langfristig bestehendes festes Verhältnis (das aber kurzfristig verletzt werden kann).
Diese Euphorie war verfrüht. Ein gutes Jahr nach Erscheinen des Artikels erhärtete sich durch weitere Untersuchungen (z.B. von Sebastian Kripfganz auf der Konferenz Value of Bitcoin oder durch burgercrypto.com), dass es keine Kointegration gibt, vielmehr der gewählte Test auf Kointegration schon kein geeigneter war (siehe Dilution-proof für eine Zusammenfassung). Damit ist nicht gesagt, dass sich Marktkapitalisierung und S2F nicht auch in Zukunft ähnlich gleichläufig entwickeln können, aber eine Prognosefähigkeit hat dieses Modell nicht.
Kripfganz modeliert die Bitcoin-Preissteigerung als Random Walk mit einem positiven Drift, in dem S2F durchaus eine Rolle spielen könnte, aber das kann statistisch nicht gezeigt werden. Ohnehin wissen wir, dass Plan B’s Modell an einem Zeitpunkt nicht mehr gültig sein wird, da es Richtung unendlicher Preis für einen Bitcoin läuft. Schon Ende 2021 könnte das Modell widerlegt sein, wenn das 2020er Halving sich nicht in deutlich höheren Preisen niedergeschlagen hätte, wie Plan B selber schrieb: „As per S2F model I expect 10x price (order of magnitude, not precise) 1 to 2 years after the halving.” Einwände gegen das S2F-Modell sind in diesem Video zu finden. Auch der Crypto Hedge Fund Strix Leviathan hat eine fundierte Kritik am Modell veröffentlicht.
Plan B hatte inzwischen das Stock-to-Flow-Modell zum Bitcoin Stock-to-Flow Cross Asset (S2FX) erweitert, in dem Datenpunkte von verschiedenen Assets wie Gold und Silber hinzugefügt werden, momentan erweitert um Bsp. Immobilien (Quelle) oder Diamanten. Dieses Modell prognostiziert sogar einen Preis von knapp unter 300.000 USD für die aktuelle Reward Era (2020-2024). Auch dieses Modell wird kritischen Tests Dritter unterzogen werden. Ohne Frage hat Plan B es aber bereits geschafft, die Knappheit von Bitcoin in den Vordergrund zu rücken und mit wohlbekannten Anlageklassen zu vergleichen: seit Mai 2020 auf einem Level mit Gold, in vier Jahren knapper als jedes andere Asset.
Ohnehin war sein Bewertungsmodell nie als exakte Zielpreisvorhersage zu verstehen, sondern gibt durch die nur wenigen Datenpunkte und Regression auf logarithmische Zahlen Preisbandbreiten an, die für jeweils eine Reward Era mit konstanter Belohnung von Bitcoin pro Block gilt. Die Preisgrößenordnungen waren ungefähr 500 bis 1.000 USD für die Ära mit 25 BTC pro Block (2012-2016), 5.000 bis 10.000 USD für die Ära mit 12,5 BTC/Block (2016-2020) und 50.000 bis 100.000 USD für die gerade gestartete Ära von 6.25 BTC/Block. Diese Bänder sind in folgendem Diagramm eingezeichnet (Quelle):

Stock-to-Flow stützt sich rein auf die Angebotsseite. Das deterministisch immer härter werdende Angebot gibt Zuversicht in die Rolle als Wertspeicher. Preissteigerungen sind aber insbesondere zu erwarten, wenn das sinkende Angebotswachstum auf eine gesteigerte Nachfrage trifft. Schließlich würden bei sinkender Nachfrage nicht nur die neu produzierten Bitcoin auf den Markt kommen, sondern auch viele Bitcoin von Bitcoin-Anlegern (ohnehin gibt es natürlich immer auch einen Handel der bereits vorhandenen Coins).
Entgegen der in Programmcode festgeschriebenen Angebotssteigerung, ist eine Prognose der Nachfrage ungleich schwieriger und kommt über einfache Abschätzungen und Dreisätze nicht hinaus. Die obige Betrachtung möglicher Kapitalzuflüsse auf Basis der Substitution etablierter Anlageklassen war bereits ein solches Nachfragemodell. Eine zweite Abschätzung ist über die Anzahl der Nutzer möglich: bis einschließlich 2019 nutzten lediglich ca. 0,5% der Weltbevölkerung Bitcoin. Eine Betrachung vom Twitter-User @Croesus_BTC speziell für den Anwendungsfall Wertaufbewahrung: 2 Milliarden Menschen haben ein Vermögen von mindestens 10.000 USD. Seine Annahme ist, dass Menschen unter dieser Grenze kaum über den Anwendungsfall Store of Value nachdenken werden. Momentan haben ca. 10 Millionen Menschen mindestens 1.000 USD in BTC, was unter einem Prozent des Marktpotenzials von 2 Milliarden entspricht. So ist eine Verhundertfachung der Nachfrage denkbar, oder wenn auch die durchschnittliche Investitionssumme pro Anleger steigt, darüber hinaus.
Ein weiterer Nachfrageanstieg wird durch den weiteren Einstieg institutioneller Investoren erwartet. Folgende Grafik zeigt die Zuflüsse zu den Crypto-Investmentprodukten von Grayscale, die zu 80% von institutionellen Anlegern kommen:

Der Bitcoin-Bereich professionalisiert sich kontinuierlich, für institutionelle Anleger geeignete Produkte kommen auf dem Markt und die positiven Effekte auf die Portfoliokonstruktion sprechen für sich. Weiteres Wachstum der Akzeptanz der Anlageklasse Bitcoin vorausgesetzt: in den kommenden Jahren werden immer mehr neue Anleger auf immer weniger neue Bitcoin stoßen. So hat alleine Grayscale für ihre Investmentprodukte für institutionelle und vermögende private Anleger in den ersten Wochen nach dem Halving im Mai 2020 mehr Bitcoin gekauft, als durch das Mining neu entstanden sind (Quelle).
Für den Anwendungsfall Bitcoin als Zahlungsnetzwerk wurden ebenso Modelle entwickelt, die eine Bewertung auf Basis von Metriken der Netzwerkaktivität, beispielsweise dem Transaktionsvolumen, vornehmen. Ein Beispiel ist das Modell von ByteTree.